Wir haben uns dieses Jahr für eine Kreuzfahrt entschieden. Die Orkneyinseln und Island waren unser Reiseziel. In Bremerhafen sind wir an Bord gegangen. Wir waren relativ früh da und mussten noch etwas vor dem Terminal warten. In der Wartezeit schaute ich mir die Menschen an, die mit uns an Bord gehen. Ich stellte fest, dass viele meiner Mitreisenden mehr oder weniger stark übergewichtig waren. Ich stellte weiterhin fest, dass viele von Ihnen trotz ihrer Fülle sehr gut aussahen. Leider stellte ich auch fest, dass genau diese Menschen einige Blicke aushalten mussten.
Besonders fiel mir ein Ehepaar auf. Sie so um die 75, er so um die 80. Sie gut übergewichtig, er mit Bauch. Im Laufe meiner Praxisarbeit bin ich ein sehr guter Beobachter geworden. Dieses Ehepaar fing also an zu tuscheln, Blicke gingen hin und her. Unglücklicherweise standen sie in meiner Nähe und ich konnte zuhören:
„Warum fressen Menschen so viel“ … war noch eine der harmlosesten Aussagen, von den Blicken ganz zu schweigen. Das Einchecken begann, wir konnten an Bord gehen und ich dachte nicht mehr daran.
Drei Tage vergingen. Mein Mann und ich gingen zum Frühstück. An Bord dieses Schiffes war freie Tischwahl. Wir setzten uns an ein Panoramafenster mit Blick auf die See. Noch etwas verschlafen und doch plötzlich hellwach hörte ich bekannte Stimmen. Dieses besagte Ehepaar hatte am Nebentisch Platz genommen. Und ich war sehr gespannt was sie sich zu erzählen hatten. Und … es wurde spannend.
In diesem Selbstbedienungsrestaurant wurden ungefähr 30 Sorten Backwaren zum Frühstück angeboten. Sehr spannend war, dass die Croissants reissenden Absatz fanden. Auch ich finde ein Croissants mit Butter und Nutella jetzt nicht das Schlechteste, abgesehen vom gesundheitlichen Aspekt, was man früh essen könnte. Aber seit meiner Gewichtsabnahme gibt es genau das nur extrem selten.
Es wurde also am Nebentisch beratschlagt was man isst. Eier, Speck und Butter, Käse, Wurst und Marmelade wurde in Massen rangeschafft. Und ein Korb mit Brötchen. Sekt und O-Saft natürlich auch und Kaffee. Ich schaute mir das eine Weile an und als ich gerade dachte, sie wären fertig hörte ich:
„ich hole noch ein paar Croissants“. Meiner erster Gedanke war, oha das wird nichts. Ich konnte von meinem Platz aus sehen, dass das Fach mit dem Croissants fast leer war und es standen noch zwei Damen davor.
Der Mann machte sich also auf den Weg. Nach genau zwei Minuten kam er mit leerem Teller wieder. Ein irritierender, fragender Blick der Ehefrau und ein völlig genervter Mann. Ich lehnte mich zurück und wartete was passieren würde und es ging los. Zitat: Zwei dicke Frauen haben IHM
die letzten Croissants weggenommen. Die waren so fett, dass er um sie herumlaufen musste, die sollten lieber aufhören zu fressen. (Zitatende). Mein Mann, schaute mich an und meinte nur …gehts noch. Wir standen auf, gingen an dem Tisch vorbei. Der Mann schaute mich an und ich sagte nur zu ihm: Sie sollten sich schämen!
Diese Situation war natürlich auch unser Gesprächsstoff an diesem Abend und ich wurde achtsamer und schaute das ein oder andere Mal genauer hin wie der Umgang mit übergewichtigen Menschen an Bord ist. Ich dachte darüber nach, ob ich vielleicht anders hätte reagieren müssen, aber so richtig eine Lösung fand ich nicht. Gut wäre eine Lösung aber vielleicht gewesen …
Dieser Vorfall geriet komischerweise nicht ins Vergessen. Und manchmal passieren unglaubliche Dinge. Eine Woche später. Wieder im Restaurant. Abendessen. Sämtliche Köstlichkeiten die man sich vorstellen kann. Das Büffet mit Kuchen, Cremes und Pudding sehr gut besucht. In der Reihe steht eine Dame. Ganz offensichtlich mit einem Lipödem in Begleitung einer Bekannten. Genau der gleiche Mann, schlendert an dem Buffet vorbei, nimmt sich am Ende des Buffets einen Teller, schlendert zurück und drängelt sich genau vor die Dame mit dem Lipödem. Die Dame bittet ihn, sehr höflich, sich genau wie alle anderen hinten anzustellen und blieb stehen.
Und dann geschah es … „ sie wäre dick genug, wenn sie sich was nimmt ist nichts mehr für ihn da, weil sie sicherlich alle Sachen mit Sahne nimmt, (Sahnestücke gab es da gar nicht). Blicke fingen an hin und her zu gehen. Menschen blieben stehen oder beobachteten mit etwas Abstand diese Situation. Die Dame wurde immer stiller und wollte dann Platz machen, ihre Bekannte flüsterte: Du bleibst stehen.
Ich hoffte der Mann hatte entweder einen sehr schlechten Tag oder sein Gehirn zu Hause gelassen, Fakt war ICH hatte anscheinend einen schlechten Tag … Ich schaute mir kurz noch einmal die Situation an, in der Hoffnung das jemand etwas sagt. Nein leider nicht. Es wurde weggesehen oder weitergegangen, bloss nicht hinsehen, helfen oder unterstützen.
Automatisch setzte ich mich in Bewegung. Ein Blick zu meinem Mann und mit den Worten: Geht gar nicht, war ich innerhalb von wenigen Momenten an der Seite dieser Frau. Ich weiß nicht mehr warum es geschah, aber die ersten Worte die ich an diesen Mann richtete, waren: Wenn sie sich nicht sofort entschuldigen … super Warnung von mir … als Antwort bekam ich … was geht sie das denn an … mit Recht, es ging mich nichts an, aber irgendetwas löste diese Sache in mir aus. Es gingen noch ein paar unschöne Worte hin und her und das letzte was ich sagte, war: Und genau deshalb sehen manche Frauen so aus wie sie aussehen, weil sie solche Arschlochmänner zu Hause haben, die meinen sie sind die Größten. Die Frau guckte mich mit Tränen in den Augen an und sagte „Danke“, ich drehte mich um ging zu meinem Tisch. Augenpaare verfolgten und beobachteten mich. Manche zwinkerten mir zu, manche schüttelten den Kopf, was immer das auch heißen sollte. Mein Mann grinste und sagte, Gott sei Dank, keinen Ton.
Okay, mein Verhalten war jetzt nicht optimal. Ich hätte als NLPer diese ganze Sache entschärfen können. Aber irgendetwas hat mich abgehalten dies zu tun. Ich entschuldige mich nun in aller Öffentlichkeit für das Wort Arschlochmann, aber auch nur dafür.
Was erlauben sich Menschen im Umgang mit anderen Menschen. Wo bleibt die Toleranz und der Wert des Menschen. Warum werden Menschen so verletzt und warum tun es oft Menschen die die gleichen Probleme haben. Wir werden wahrscheinlich niemals eine gute Antwort darauf bekommen. Aber solange ich etwas dagegen tun kann, werde ich es tun. Auch wenn es nicht immer angebracht ist.