Auf meine Frage was ich für sie tun kann, kam diese klare Antwort:
Ich muss dieses verdammte Übergewicht loswerden. Es versaut mein Leben in allen Bereichen. Es kotzt mich an. Ich finde keine dauerhafte Arbeit. Wenn ich überhaupt einen Mann kennenlerne und eine Beziehung entsteht, ist diese nie von langer Dauer. Kein Partner bleibt bei mir und ich hasse es, mir ständig vorzumachen, dass alles gar nicht so schlimm ist. Ich habe endlich verstanden, dass mein großes Übergewicht der Grund dafür ist keinen Partner und eine, meiner Ausbildung entsprechenden Arbeit, zu finden. Ich brauche Hilfe, weil ich erkannt habe, dass ich es alleine nicht schaffe. Ich habe unzählige Diätversuche hinter mir, ohne dauerhaften Erfolg. Es ist mir klar, dass es einige Zeit dauern wird, bis ich mein Ziel erreicht habe. Aber das ist okay.
Auf meine zweite Frage, wie das Übergewicht sie einschränkt, kam diese Antwort:
Schon extrem. Die Blicke bei einem Vorstellungsgespräch sagen schon viel aus und ich hoffe immer auf einen Stuhl in dem ich hineinpasse. Auf Grund dieser Sorge schwitze ich vorher schon, was nicht gerade dazu beiträgt das ich entspannter bin. In der Hoffnung das mein Deo nicht versagt, der Stuhl mich trägt und ich keinem die Hand geben muss, überstehe ich es gerade so. Ich bete immer, dass mir nichts runter fällt, weil aufheben könnte ich es nicht ohne Belustigung der Anwesenden.
Ich kann mich schwer bücken und keuche wenn ich Treppen laufen muss. Meine Gehstrecke ist super eingeschränkt und die Knie tun mir weh. Äußern darf ich das nicht, denn dann höre ich...ist ja auch kein Wunder... An einen Arztbesuch, wegen den Knien denke ich gar nicht....also halte ich die Schmerzen aus. Allerdings bin ich seit einiger Zeit Privatpatient, da hat sich schon was geändert. Früher als Kassenpatient hieß es bei einem Arztbesuch - Sie sind zu dick - heute als Privatpatient heißt es - vielleicht können sie versuchen etwas abzunehmen. Kommen sie gerne in acht Wochen einmal zur Kontrolle.
Im Freundeskreis bin ich der Kumpel. Unsere Treffen sind immer mit Essen und Trinken verbunden, Freunde wo es nicht um Essen und Trinken geht, habe ich fast keine. Große Veranstaltungen, Kino, Theater und Strand sind gar nicht machbar. Und das, was ich eigentlich anziehen möchte, ist absolut nicht umsetzbar.
Ich habe studiert und einen sehr guten Uni-Abschluss gemacht. Ich spreche mehrere Sprachen und meine Kindheit verbrachte ich sicher aufgehoben in einem liebevollen Elternhaus. Ich bin sozial eingestellt und nicht asozial. Ich bin gepflegt, nicht verlottert, empathisch und offen für andere Menschen, nur eins bin ich - fett -. Schweigen, von beiden Seiten...
Selten habe ich einen Menschen kennengelernt, der sein Problem so klar sieht und auf den Punkt bringt. In diesem Gespräch war Wut, Angst und Resignation spürbar, aber auch Klarheit und Entschlossenheit.
Auf meine dritte Frage, wie viel Mut sie brauchte um hierher zu kommen, kam diese Antwort:
Mut habe ich nicht gebraucht,. Nach dem mir klar war, dass ich es nicht ohne Hilfe schaffe, war es relativ einfach. Mein Problem ist einfach zu groß um zu zögern oder noch zu warten. Ich brauche einfach Hilfe.
Wir haben angefangen an ihrem Gewicht zu arbeiten. Heute sind acht Wochen vergangen und sie hat zwischenzeitlich über 12 Kilogramm abgenommen. Sie ist auf ihrem eigenen Weg gestartet. Den einen oder anderen Stein der dort noch liegt, wird sie noch wegräumen müssen. Und irgendwann wird der Stein weggeräumt sein und mit ihm das Problem des Gewichtes. Auf diesen Weg darf ich sie noch ein bisschen begleiten und ich weiß genau, sie wird ihr Ziel erreichen.
Diese Geschichte zeigt mir wieder, wie hoch der Leidensdruck von stark übergewichtigen Menschen wirklich ist. Selten erfährt man das in dieser Art von einer betroffenen Person. Vielleicht mag es daran liegen, dass meine Klienten wissen, das ich sie verstehe. Wog ich doch auch in meinen "besten Jahren" 122 Kilogramm. Auch ich habe gelitten und bin verletzt worden. Und diese Verletzungen bleiben, nur der Umgang mit ihnen schmerzt nicht mehr.
Und das, was die meisten übergewichtigen Menschen machen, wenn sie behaupten sie fühlen sich wohl, ist genau das.....sich vor Verletzungen durch die Gesellschaft zu schützen..